Textatelier
BLOG vom: 27.06.2012

Andere Visionen: Wie verrückt muss ein Künstler sein?

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Was ist hässlich, grässlich, grotesk, verzerrt oder gar pathologisch in der Kunst? Das ist ein futiler, illusorischer Meinungsstreit, der sich oft zwischen Kunstexperten auftut und auch Laien erregt.
 
Ein Künstler muss zumindest etwas verrückt sein, um seine Werke zu schaffen. Sonst wäre er Buchhalter geworden. Viele Künstler werden voreilig in den pathologischen Kübel geworfen – und zum Glück hin und wieder ins Tageslicht einer Neueinschätzung ihrer „entarteten Kunst“ gehoben.
 
Adolf Hitler, der bestenfalls als Manierist Bilder kleckste, verdammte, was ihn aneckte, mit verheerenden Folgen: Bücher und Bilder wurden verbrannt. Künstler flohen massenweise aus Deutschland ins Exil.
 
Wie der Künstler lebt und leibt, ist nebensächlich, und es kann bestenfalls nur da und dort flüchtige Fingerzeige über gewisse Einflussfaktoren in seinen Werken geben. Und hat der Künstler, besonders der Maler, vor Jahrhunderten gelebt und gewerkt, verbreitert sich der Schleier irriger Ansichten.
 
Die Nörgler des damaligen und heutigen Kunstschaffens berufen sich leichthin auf Eideshelfer, womit sie ihre eigenen Ansichten untermauern wollen. Das wäre weiter nicht schlimm, wenn sie sich nicht fortwährend als Hohepriester und Kunstrichter auf den Sockel stellten. Es ist bekannt, wie mühelos Meinungen aus 2. Hand aufgeschnappt werden und den persönlichen Zugang zu Meisterwerken versperren.
 
In diesem Artikel klammere ich die dekorative Kunst aus meiner kurzen Betrachtung, die ihren eigenen Stellenwert hat und dazu bestimmt ist, das Auge zu entzücken, seien es ausgewogenen Landschaftsbilder, oder die Sinne mit Nackedeien zu berücken, wie in der „Salonkunst“ um 1900 gehuldigt.
 
„Altri visioni“ (andere Visionen) sind dringend nötig, damit wir nicht allesamt in der heutigen Einheitswelt versumpfend untergehen. Das Schlagwort Individualität wird mit dem Hammer zerschlagen. Dies spielt sich hinter den Kulissen ab und bleibt weitgehend unbemerkt.
 
Individualisten und Visionäre sind mir lieb; Divisionäre und Missionare mag ich nicht. Visionäre bereichern unser Sehen und Erkennen und regen uns an, hoch zu blicken zu der in der in der Luft schwebenden Insel mit dem kleinen Schloss … Luftschlösser also, aus der Vorstellungskraft geschaffen – eben Visionen. Visionen übertreffen Illusionen. Sie erübrigen den Meinungsstreit.
 
 
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